#8 – MUSS ICH MEINE ELTERN FINANZIELL UNTERSTÜTZEN?

In dem heutigen Newsflash werden wir die Frage beantworten, ob auch Kinder ihre Eltern finanziell unterstützen müssen:

  • Allgemeines: Artikel 205 Zivilgesetzbuch (I),
  • Prinzip (II),
  • Beispiele (III),
  • Ausnahmen (IV).

 

I. Allgemeines: Artikel 205 Zivilgesetzbuch (ZGB)

Es ist allgemein bekannt, dass Eltern ihre Kinder finanziell unterstützen müssen, z.B. beim Absolvieren einer Ausbildung oder eines Studiums.

Wie sieht es aber aus, wenn Eltern im Älterwerden die finanzielle Hilfe ihrer Kinder benötigen?

Artikel 205 ZGB sieht vor, dass Kinder ihren Eltern und ihren Verwandten in aufsteigender Linie (d.h. Groß- und Urgroßeltern) gegenüber unterhaltspflichtig sind, wenn diese bedürftig sind.

Es handelt sich hier um eine allgemeine Verpflichtung zur Hilfeleistung den Eltern gegenüber. Diese Verpflichtung ist gegenseitig (Art. 207 ZGB). Sie betrifft ebenfalls die Schwiegerkinder und -eltern.

 

II. Prinzip

In einer Familie besteht eine prinzipielle Verpflichtung zur Hilfe basierend auf dem Grundsatz der Solidarität innerhalb der Familie (solidarité familiale).

Wenn Eltern bedürftig sind, müssen ihre Kinder sie demnach unterstützen (sei es materiell oder finanziell). Es handelt sich um eine persönliche Pflicht der Betroffenen, die nicht übertragbar ist. Die Verpflichtung endet erst mit dem Tod des Elternteils.

Da es eine persönliche Verpflichtung ist, kann das Gerichtsverfahren auch nur vom Elternteil (Gläubiger) persönlich ausgeübt werden.

Diese Tatsache hat zu heiklen Verfahren geführt, wo z.B. das ÖSHZ die bedürftigen Eltern verpflichtete, zunächst ein Verfahren gegen die Kinder zu führen, bevor Sozialhilfe gestattet wurde.

Das ÖSHZ hat in der Tat die Möglichkeit, den Betroffenen zu zwingen, seine Rechte unterhaltspflichtigen Personen gegenüber geltend zu machen (z.B. sein Ehepartner oder gegebenenfalls sein Ex-Ehepartner, seine Kinder, seine Eltern, die Adoptiveltern oder die Adoptivkinder; Artikel 4 des Gesetzes vom 26. Mai 2002 über das Recht auf soziale Eingliederung).

Wie oben bereits erwähnt, müssen die Eltern bedürftig sein. Es gibt allerdings keine allgemeine Definition für das Wort „bedürftig“. Es wird von Fall zu Fall vom zuständigen Richter definiert. Die Rechtsprechung hat jedoch bereits geurteilt, dass es keine völlige Verarmung (état de misère) sein muss.

Die Entscheidung des Richters kann – wie bei Unterhaltsforderungen für Kinder – immer korrigiert und dem aktuellen Zustand angepasst werden. Es handelt sich somit immer um ein vorläufiges Urteil.

Was die Aufteilung betrifft, so muss jedes zahlungsfähige Kind seine Eltern unterstützen.

Die Hilfe ist jedoch auf das nötige Minimum begrenzt, um dem Elternteil aus der Not heraus zu helfen.

 

III. Beispiele

– Das Paradebeispiel ist, dass wenn die Mutter oder der Vater in ein Alten- oder Pflegeheim aufgenommen werden, die Kinder den Ausgleich zahlen müssen, falls die Rente und das Ersparte des Betroffenen nicht reichen, um die Pflegekosten zu zahlen.

– Ein weiteres Beispiel ist, wenn die Eltern die Miete nicht mehr zahlen können.

– Ein Entscheid des Appellationshofes Brüssel hat 1997 geurteilt, dass die Bestattungskosten von den Kindern gezahlt werden müssen und dies ungeachtet der Tatsache, ob das Kind auf das Erbe verzichtet oder nicht. Es handle sich hier um eine natürliche Pflicht und die Menschenwürde des Verstorbenen. Später hat allerdings ein Friedensgericht in Fontaine-l’Evêque (Provinz Hennegau) in einem Urteil vom 22. März 2007 genau umgekehrt geurteilt…

 

 IV. Ausnahmen

Wenn die Eltern durch ihr bewusstes Verhalten die Notlage provoziert haben, z.B. in dem sie eine Arbeitsstelle verweigern um die Kinder zur finanziellen Unterstützung zu zwingen, dann kommt die gesetzliche Verpflichtung nicht zum Tragen.

Kinder können vom Richter von dieser Verpflichtung teilweise oder gänzlich entbunden werden, wenn die Eltern sich schwerwiegender Fehler schuldig gemacht hat (z.B. wenn dem Elternteil die elterliche Autorität entzogen wurde).

Die Ausnahmen werden von der Rechtsprechung sehr strikt gehandhabt und nur in den seltensten Fällen zugelassen. Sie benötigen in jedem Fall eine ausführliche Beweisführung, um vor einem Richter Bestand zu haben.

 

Quellen: Artikel 205 und 207 Zivilgesetzbuch; Artikel 4 des Gesetzes vom 26. Mai 2002 über das Recht auf soziale Eingliederung ; Entscheid des Kassationshofes vom 20. September 2013, Nr. C.12.0479.F; Entscheid des Appellationshofes Brüssel vom 6. Februar 1997, Urteil des Friedensgerichts von Fontaine-l’Evêque vom 22. März 2007; Entscheid des Arbeitsgerichtshofes Brüssel vom 22. Februar 2007, Nr. 48.369.