#12 – SIE HABEN DIE WAHL!

DIE FREIE WAHL DES RECHTSBEISTANDS IM RAHMEN EINER RECHTSCHUTZVERSICHERUNG

 

  1. Rechtlicher Hintergrund

Artikel 156 des Gesetzes über die Versicherungen vom 4. April 2014[1] sieht vor, dass in Rechtschutzversicherungsverträgen Versicherte bei einem Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren ihren Rechtsanwalt/-ältin frei wählen können, um ihre Interessen verteidigen.

Zudem können Versicherte jedes Mal, wenn ein Interessenkonflikt mit ihrem Versicherer entsteht, ihren Rechtsanwalt/-ältin frei wählen, um ihre Interessen verteidigen zu lassen.

 

  1. Anwendung

Es ist einer Rechtschutzversicherung in Anwendung des obigen Artikels nicht erlaubt, einem Kunden (finanzielle) Vorteile zu versprechen, wenn dieser einen Rechtsbeistand aussucht, der – in irgendeiner Form – von der Rechtschutzversicherung empfohlen wurde. Die versprochenen Vorteile beeinträchtigen zwangsläufig die Wahlfreiheit des Versicherten.

 

  1. Rechtsprechung

Dies wurde nun in einem Entscheid des Appellationshofes BRÜSSEL vom 1. März 2021[2] klar bestätigt:

Es handelte sich hier um einen Rechtsstreit zwischen dem Rechtschutzversicherer ARAG SE und der Kammer der französisch- und deutschsprachigen Anwaltschaften Belgiens (AVOCATS.BE/O.B.F.G.[3]).

Die ARAG SE kommerzialisierte eine Produkt „Legal U (1-4)”, in dem zunächst von Vorteilen bei der Wahl von Partneranwälten[4] der ARAG SE die Rede war und dann später von finanziellen Vorteilen bei der Wahl eines Rechtsbeistands, der die Baremen des Königlichen Erlasses vom 28. Juni 2019 anwendet.

Der Rechtschutzversicherungsvertrag war wie folgt formuliert:

« (*) Somme assurée: (…) si l’assuré fait choix d’un avocat qui applique les barèmes fixées à l’arrêté royal du 28 juin 2019, la somme assurée mentionnée ci-dessus de €20.000 est portée à €30.000 (…).

(***) Franchise: d’application uniquement sur les frais et honoraires d’avocats.

(…) si l’assuré fait choix d’un avocat qui applique les barèmes fixées à l’arrêté royal du 28 juin 2019, la franchise n’est pas due » (wir unterstreichen).

Kurz gesagt, der Versicherte, der einen Anwalt aussuchte, der sich dem Barema des Königlichen Erlasses vom 28. Juni 2019 unterwarf, profitierte somit einerseits von höheren Versicherungssummen und musste andererseits keine Franchise zahlen.

Der Appellationshof entschied klar, dass dies die Wahlfreiheit des Rechtsbeistands beeinträchtigt. Es handelte sich hierbei nicht um ein objektives Kriterium, sondern um den Willen der ARAG SE, ihre Kunden zu einer gewissen Kategorie von Rechtsanwälten zu orientieren.

Der Hof unterstrich, dass es für den Versicherten wesentlich ist, sich von einem Rechtsbeistand seiner Wahl verteidigen zu lassen. Die Vorgehensweise der ARAG SE ist, gemäß dem Wortlaut des Entscheids, eine erhebliche Verletzung des Prinzips der freien Wahl des Rechtsbeistands, die nicht zugelassen werden kann[5].

Das Versicherungsprodukt der ARAG SE „Legal U 3“ wurde somit als illegal bestätigt und darf nicht mehr verkauft werden.

 

  1. Was tun?

Bei Abschluss einer Rechtschutzversicherung sowie beim späteren Konsultieren eines Rechtsbeistands sollte der Versicherungsnehmer sich dessen bewusst sein, dass er/sie in jedem Fall seinen/ihre Rechtsanwalt/-ältin frei wählen kann und dass dies keine Konsequenzen auf die finanziellen Erstattungen der Rechtschutzversicherung haben darf.

Sollte dies dennoch der Fall sein, wird der Rechtsbeistand seiner Wahl ihn/sie diesbezüglich ebenfalls kompetent beraten und ggf. verteidigen.

 

Stand: 12. März 2021

[1]              Dieser Artikel 156 setzt Artikel 201 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit um.

[2]              A.L. Nr. 2020/AR/767.

[3]              //avocats.be/.

[4]              Im Produkt der ARAG SE « avocat labellisé/partenaire ARAG » genannt.

[5]              Im französischen Originaltext schreibt der Hof : « Ce procédé constitue une entrave importante au principe du libre choix de l’avocat qui ne peut être admise sans qu’il soit nécessaire d’interroger la Cour de justice de l’union européenne à ce propos ».